M***-Straße 10: Der erste Firmensitz der Sarotti AG
Der Name „Sarotti“ taucht erstmals 1852 auf, als Heinrich Ludwig Neumann, ein ehemaliger Zeichenlehrer und Lotterie-Einnehmer, die „Confiseur-Waaren-Handlung Felix & Sarotti“ eröffnet. Im Angebot sind feine Pariser Süßigkeiten. 1881 übernimmt der Konditor Hugo Hoffmann das Unternehmen, führt es mit einem bereits bestehenden Betrieb zusammen und verkauft seine Erzeugnisse fortan unter dem Namen „Sarotti“. Als eigentliches Gründungsjahr der Sarotti AG gilt das Jahr 1868.
Sarotti-Aktie von 1903
Weil die Geschäfte sehr gut gehen, ist Hoffmann am Wiedererkennungswert seiner Produkte gelegen. 1894 lässt er die Wortmarke „Sarotti“ schützen; 1918 und 1922 meldet er zwei Bildmarken an, die sich auffallend ähneln: Sie zeigen mit Turban, Pluderhosen und Schnabelschuhen ausstaffierte, Schwarze kindliche Dienerfiguren. Die neuen Firmenlogos sollen sich der Kundschaft besser einprägen, aber auch handwerkliche Tradition und Erfahrung verkaufen. Die Idee für das Motiv ist deshalb vermutlich vom ersten offiziellen Firmensitz inspiriert. Dieser befindet sich, wenn auch nur für kurze Zeit, in der M***-Straße 10.
Die Strategie geht auf. Anfang der 1920er Jahre gilt das Sarotti-Werk als größte Schokoladenfabrik der Welt. Das Markenzeichen des Unternehmens, der „Sarotti-M.“, wird zu einem der berühmtesten Werbeträger in der deutschen Wirtschaftsgeschichte. Er ist es nach wie vor, trotz seiner Umstrittenheit. Kaum jemand kennt sie nicht, die Figur, die mit der Schokolade – „hier ein Stückchen, da ein Stückchen“ – Genuß verspricht und Glück bringen soll. Die Geschichte des „Sarotti-M.“ ist jedoch nicht ganz so harmlos. Und mit Genuß und Glück hat sie nur wenig zu tun.
Der „Sarotti-M.“ vermittelt ein Menschenbild, dessen Ursprünge im Kolonialismus liegen, und steht damit geradezu sinnbildlich für eine lange Tradition von unfreier Arbeit und Ausbeutung. Davon profitiert das Unternehmen – trotz wechselnder Eigentümer – seit seinem Bestehen. Die Geschichte der Zwangsarbeit für Sarotti verdeutlicht historische Kontinuitäten, die auch Teil der Geschichte des Schweizer Weltkonzerns Nestlé sind. Dieser besitzt von 1929 bis 1998 die Aktienmehrheit an der Sarotti AG, vertreibt die Marke weiter und festigt ihren Bekanntheitsgrad.
Seit 2011 gehört Sarotti zum belgischen Süßwarenhersteller Sweet Products / Baronie. Auf dessen aufwendig gestalteter Website ist weder die umstrittene Geschichte des Firmenlogos noch die Geschichte der Zwangsarbeit ein Thema. Historische Verantwortung: Fehlanzeige.