M***-Straße 64: Das Thüringenhaus
Systematische Verschleppung und Ausbeutung im Zweiten Weltkrieg
Im März 1942 ernennt Adolf Hitler den Gauleiter von Thüringen, Fritz Sauckel, zum Generalbevollmächtigten für den Arbeitseinsatz. Die neue Behörde mit Sitz im „Thüringen-Haus“ soll die sogenannte „Anwerbung“ von Arbeitskräften „effektiver“ gestalten.
Titelbild einer NS-Propagandabroschüre, 1943
Weil die Propaganda der Arbeitsämter in den von deutschen Truppen besetzten Gebieten nicht den erhofften Erfolg zeigt, geht die Behörde bald mit brutaler Gewalt vor: Menschen werden nach Geburtsjahrgängen zwangsverpflichtet, in Razzien verhaftet und zum Einsatz nach Deutschland verschleppt.
In einem abgefangenen Brief aus der Ukraine schreibt eine Augenzeugin:
„Am 1. Oktober fand eine neue Aushebung von Arbeitskräften statt. [...] Du kannst Dir diese Bestialität gar nicht vorstellen. [...] Es kam der Befehl, 25 Arbeiter zu stellen, aber keiner hat sich gemeldet, alle waren geflohen. Dann kam die deutsche Gendarmerie und fing an, die Häuser der Geflohenen anzuzünden. [...] Man fängt jetzt Menschen, wie die Schinder früher Hunde gefangen haben. Man ist schon eine Woche auf Jagd und hat noch nicht genug.“
In der Behörde ist man hingegen sehr zufrieden. Im Februar 1943, knapp ein Jahr nach Amtsantritt, kann Sauckel vermelden, dass „über drei Millionen Ausländer nach Deutschland befördert und zur Arbeit eingesetzt worden [sind]. Das bedeutet, dass im Monat durchschnittlich 350.000 Menschen nach Deutschland gebracht wurden.“
„Berlin 1943. Erinnerungen an die Lager-Stadt“; Privatfoto eines tschechischen Zwangsarbeiters (Name unbekannt)
Im Sommer 1944 leisten über sieben Millionen Menschen in Deutschland Zwangsarbeit, rund eine halbe Million in Berlin. Die Stadt ist voll mit Lagern zu ihrer Unterbringung. Die zur Arbeit verschleppten Menschen kommen aus zwanzig europäischen Ländern. Die meisten sind zwischen 16 und 40 Jahren alt, viele aber auch wesentlich jünger. Sie arbeiten in Industrie und Landwirtschaft, in Handwerksbetrieben und Privathaushalten und für Verwaltungen und Kirchen. Polnische und sowjetische Zwangsarbeiter*innen werden von den NS-Behörden besonders diskriminiert. Für sie gilt ab 1940 ein rassistisches Sonderrecht: die sogenannten „Polen“- und „Ostarbeiter-Erlasse“.
Nach Kriegsende kehren die meisten Zwangsarbeiter*innen freiwillig oder unter Zwang in ihre Länder zurück. Über Jahrzehnte werden Ihnen von Staat und Unternehmen Entschädigungen vorenthalten. Die Betroffenen führen oft mühsame Prozesse und versuchen, das Thema in die Öffentlichkeit zu tragen. Erst ab dem Jahr 2000 werden Entschädigungen an Einzelpersonen ausgezahlt. Viele Überlebende sind zu dem Zeitpunkt bereits verstorben. 2006 werden die Zahlungen eingestellt.